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Dr. Stefan Altenschmidt: Der Gesetzgeber hat sich im Zusammenhang mit dem LkSG für das Konzept eines Public Enforcements entschieden. (Foto: privat)
Erste Stufe des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) gezündet

Dr. Stefan Altenschmidt: Deutschland nimmt Unternehmen für etwas in die Pflicht, das selbst die Bundesregierung im Ausland oft nicht leisten kann

ESV-Redaktion Recht
17.01.2023
Seit Jahresbeginn gilt die erste Stufe des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Über die Auswirkungen der neuen Vorgaben und die Pflichten für Unternehmen hat sich die ESV-Redaktion mit RA Dr. Stefan Altenschmidt unterhalten, der Unternehmen zu sämtlichen Fragen im öffentlichen Wirtschaftsrecht berät.

Kein politischer Apell mehr, sondern verschärfte Anforderungen an die Compliance

Herr Dr. Altenschmidt: Mit der Neuregelung überträgt der deutsche Gesetzgeber den Unternehmen mehr Verantwortung für die sozialen und ökologischen Zustände in deren Lieferketten. Was heißt das genauer und was hat den Gesetzgeber dazu bewogen?

Dr. Stefan Altenschmidt: Unternehmen sind Organisationen, die in einem sozialen Kontext tätig sind. Ihr Handeln kann Menschenrechte verletzen, etwa durch verbotene Kinderarbeit, aber auch zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage beitragen. Die Vereinten Nationen haben bereits 2011 in ihren Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte die Verantwortung auch privater Unternehmen für den Schutz der Menschenrechte herausgestellt. In Deutschland haben Bundestag und Bundesregierung zunächst auf ein freiwilliges Engagement der Wirtschaft gesetzt, sahen dies dann aber als unzureichend an.

Der Gesetzgeber hat sich daher dazu entschlossen, ab dem 1. Januar dieses Jahres große Unternehmen dazu zu verpflichten, sich aktiv um die Einhaltung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten zu verpflichten. Das ist jetzt kein politischer Appell mehr, sondern die Auferlegung strenger Rechtspflichten mit scharfen Sanktionen, falls Unternehmen sich nicht rechtskonform verhalten. Die Anforderungen an die Compliance von Unternehmen werden verschärft.


Hören Sie zu dem Thema auch in den Podcast des Erich Schmidt Verlags rein: ESV im Dialog: Sie hören Recht: Erste Stufe des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) gezündet



Was sind denn die zentralen Begriffe der Lieferkette?

Dr. Stefan Altenschmidt: Der Gesetzgeber nimmt die Unternehmen entlang ihrer Lieferkette in die Pflicht. Der Begriff der Lieferkette ist dabei ein sehr weitreichender. Er erfasst nicht nur Lieferanten. Die Lieferkette im Sinne dieses Gesetzes bezieht sich vielmehr auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens. Sie bezieht alle Schritte im In- und Ausland ein, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis zu der Lieferung an den Endkunden.

Einbezogen wird somit neben dem Handeln der unmittelbaren und mittelbaren Zulieferer auch das Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich. Und dies sowohl national als auch international. 

RA Dr. Stefan Altenschmidt berät zu sämtlichen Fragen im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts. Einer seiner Schwerpunkte ist die öffentlich-rechtliche Compliance und die rechtssichere Unternehmensorganisation. Er hält regelmäßig Fachvorträge und veröffentlicht zu dem von ihm bearbeiteten Themen.


Auch mittelbare Lieferanten gehören zur Lieferkette 

Können Sie die wichtigsten Begriffe grob skizzieren?

Dr. Stefan Altenschmidt: Ein häufiges Missverständnis besteht darin, den Begriff der Lieferkette nur auf das Handeln von Lieferanten zu beziehen. Tatsächlich erfasst die Lieferkette aber auch das Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich und auch in Deutschland. Darunter versteht der Gesetzgeber jede Tätigkeit des Unternehmens zur Erreichung des Unternehmensziels. Erfasst ist damit jede Tätigkeit zur Herstellung und Verwertung von Produkten und zur Erbringung von Dienstleistungen, unabhängig davon, ob sie an einem Standort im In- oder Ausland vorgenommen wird.

In Konzernen geht dies sogar noch weiter: Hier gehören zum eigenen Geschäftsbereich der Konzernmutter auch deren Tochtergesellschaften, wenn die Obergesellschaft auf diese einen bestimmenden Einfluss ausübt. Wichtig ist daneben auch die Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern:

Unmittelbarer Zulieferer ist ein Partner eines Vertrags über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produkts des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung notwendig sind. Es kann sich hierbei also um einen Rohstofflieferanten handeln – oder um den Paketdienst, mit dem die fertige Ware an den Endkunden ausgeliefert wird.

Mit einem mittelbaren Zulieferer besteht hingegen keine unmittelbare Vertragsbeziehung; er ist quasi der Zulieferer des unmittelbaren Zulieferers. Bezogen auf einen mittelbaren Zulieferer sieht der Gesetzgeber besondere Pflichten im Grunde erst dann vor, wenn ein Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte für mögliche Menschenrechtsgefährdungen hat.

Geschützt sind nicht nur Kinder in einer Textilfabrik in Bangladesch, sondern auch Paketauslieferungsfahrer in Deutschland


Und welche Menschenrechte sollen erfasst werden?

Dr. Stefan Altenschmidt: Die vom LkSG erfassten Menschenrechte werden aus einer Reihe internationaler Konventionen und Verträgen abgeleitet. Neben den klassischen Verboten von Sklaverei, Zwangs- und Kinderarbeit liegt hier ein Schwerpunkt auch im Bereich des Arbeitsschutzes, also des Verbots, das Leben und die Gesundheit von Arbeitnehmer durch schlechte Arbeitsbedingungen zu gefährden. Hierzu zählt im Übrigen auch die Einhaltung von Vorgaben zu Arbeitszeiten und Ruhepausen. Ebenso müssen Gewerkschaftsrechte beachtet werden. Eine Menschenrechtsverletzung liegt aber auch bereits dann vor, wenn der gesetzliche Mindestlohn nicht gezahlt wird – und das auch in Deutschland.

Das Gesetz schützt somit nicht nur das Kind in einer Textilfabrik in Bangladesch, sondern auch den Paketauslieferungsfahrer in Deutschland. Schließlich werden auch Umweltbestandteile wie das Grundwasser und die Luft geschützt, wenn deren Verunreinigung etwa Gesundheitsgefahren zur Folge haben.  
 

Angemessenes Risikomanagement erforderlich

Welche Vorgaben zur behördlichen Kontrolle gibt es und welche damit zusammenhängenden Zuständigkeits- und Befugnisnormen würden Sie hervorheben?

Dr. Stefan Altenschmidt: Der Gesetzgeber hat sich im Zusammenhang mit dem LkSG für das Konzept eines Public Enforcements entschieden. Es ist damit Aufgabe einer Behörde, des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu überwachen.

Zu diesem Zweck wird das BAFA bei den Unternehmen etwa Kontrollen dazu durchführen, ob ein angemessenes Risikomanagement eingerichtet wurde und die jährlichen Pflichten zur Berichterstattung und zur Risikoanalyse eingehalten werden. Das BAFA hat zu diesem Zweck Auskunfts- und Betretensrechte, die es in der Praxis in anderen Zuständigkeitsbereichen auch tatsächlich nutzt.

Bei festgestellten Pflichtverletzungen kann das BAFA Bußgelder in einer Höhe von bis zu 2 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes verhängen. Ebenso kann das BAFA Unternehmen per Verwaltungsakt zwingen, bestimmte Maßnahmen zur Umsetzung der gesetzlichen Pflichten zu ergreifen. Besonders diese Befugnis ist für viele Unternehmen überraschend. Denn die Behörde hat hiermit die Möglichkeit, Vorgaben für die interne Unternehmensorganisation zu machen und diese im Wege des Verwaltungszwangs durchzusetzen.

Auch Gewerkschaften und andere NGOs können Verletzungen geltend machen

Die Durchsetzung der Unternehmenspflichten obliegt nicht nur dem Staat. Welche weiteren Akteure können die neuen Unternehmenspflichten durchsetzen und welche Mittel stehen hierfür zur Verfügung?

Dr. Stefan Altenschmidt: Der Gesetzgeber hat mit dem LkSG die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft gestärkt, gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Jede Person, die selbst von einer Menschenrechtsverletzung betroffen ist, kann bei dem BAFA eine behördliche Untersuchung beantragen. Zivilrechtliche Schadensersatzansprüche etwa wegen einer Körperverletzung durch schlechte Arbeitsbedingungen können ab sofort im Wege einer sogenannten Prozessstandschaft auch durch Gewerkschaften und andere NGOs geltend gemacht werden.

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Verfassungsrechtliche Zweifel?


Ein Wort zu Ihrem Kurzkommentar zum LkSG. Was hat Sie dazu bewogen, dieses Werk zu schreiben und was zeichnet es aus?  


Dr. Stefan Altenschmidt:
Das LkSG ist ein Stück neues Wirtschaftsverwaltungsrecht, das vom BAFA behördlich vollzogen wird. Als Rechtsanwalt beschäftige ich mich nunmehr seit 20 Jahren für Mandanten aus dem Bereich großer Unternehmen mit Compliance-Anforderungen aus dem Wirtschaftsverwaltungsrecht und bin dabei immer wieder auch mit behördlichen Zuständigkeiten des BAFAs konfrontiert.

Da lag es nahe, diese Erfahrungen zur Kommentierung des neuen Gesetzes zu nutzen. Außerdem ist es faszinierend, sich rechtswissenschaftlich vertieft mit dem neuen Konzept menschenrechtlicher Sorgfaltsanforderungen an unternehmerisches Handeln zu befassen: Der Gesetzgeber nimmt hier Unternehmen für etwas in die Pflicht, was selbst die Bundesregierung vielfach im Ausland nicht leisten kann.

Denken Sie nur an Katar oder die Lage der Volksgruppen der Uiguren in China – hier müssen sich ab sofort deutsche Unternehmen unter Bußgeldandrohung aktiv für die Menschenrechte einsetzen, während der Bundeswirtschaftsminister diese Aspekte offenbar außen vor lässt, um Flüssiggaslieferungen für Deutschland zu sichern. Ist das noch angemessen und verfassungsrechtlich vertretbar? Der Kommentar geht dem und anderen Fragestellungen fundiert nach, zielt hierbei aber auch auf eine Praxistauglichkeit und Hilfestellung für die Umsetzung der neuen Vorgaben durch Unternehmen, Behörden, Gewerkschaften und andere NGOs.


Welche Zielgruppen sprechen Sie an?

Dr. Stefan Altenschmidt: Ein Mandant hat mir kürzlich gesagt: Das Buch ist perfekt geeignet für Rechtsabteilungen von Unternehmen, die das LkSG beachten müssen. Das gilt gleichermaßen für Zulieferer wie für unmittelbar betroffene Unternehmen. Aber auch Behörden und Gewerkschaften sowie andere NGOs werden hier wertvolle Hinweise für das Verständnis der neuen Anforderungen und deren Umsetzung finden.

Das Buch ist zwar von Wirtschaftsanwälten geschrieben worden, es bezieht aber keine einseitigen und nur unternehmensfreundlichen Positionen. Unser Ziel war eine möglichst objektive Kommentierung der neuen Vorgaben, mit denen der Gesetzgeber die Wirtschaft bewusst hat belasten wollen. Dieses Verständnis ist wichtig, da dies auch Konsequenzen für den behördlichen Vollzug und die Kontrollen und Sanktionen des BAFAs haben wird.

Ganzheitliche Auseinandersetzung mit den Menschenrechten


Wie können sich Unternehmen, aber auch Berater auf die neue Situation einstellen?

Dr. Stefan Altenschmidt: Wichtig ist es, die menschenrechtlichen Anforderungen des LkSG als einen integralen Bestandteil des unternehmerischen Risiko- und Compliance-Managements anzusehen. Es reicht nicht aus, nur neue Einkaufsbedingungen vorzusehen oder einen Menschenrechtsbeauftragten einzusetzen.

Unternehmen müssen sich ganzheitlich mit menschenrechtlichen Anforderungen an ihr eigenes Handeln und das ihrer Zulieferer auseinandersetzen. Es war schon bisher wichtig, diese zu kennen, Risiken zu erkennen und angemessene Risikovorsorge zu betreiben. Das LkSG ergänzt diese Anforderungen. Man sollte auch beachten, dass bei Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette nicht nur Bußgelder nach dem neuen Gesetz festgesetzt werden können. Wegen des „all crime“-Ansatzes des erst 2021 geänderten Geldwäschetatbestands im Strafgesetzbuch drohen hier den Verantwortlichen in den Unternehmen vielmehr auch strafrechtliche Ermittlungen und geld- oder sogar Haftstrafen. Die Third-Party Due Diligence ist bei unternehmerischem Handeln daher unverzichtbar.

Neue Verschärfungen drohen

Ihr Ausblick: Wird das neue Gesetz seine Ziele erreichen oder sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?


Dr. Stefan Altenschmidt:
Hier bin ich sehr skeptisch: Wir haben im letzten Jahr durch den russischen Angriff auf die Ukraine eine Zeitenwende erlebt und stehen vor enormen geopolitischen Herausforderungen. Die politischen Spannungen mit wichtigen Wirtschaftspartnern wie der Volksrepublik China nehmen zu. Das gefährdet unsere Sicherheit und unseren Wohlstand und damit Arbeitsplätze sowie auch die politische Stabilität. Die Risiken erhöhen sich eher, wenn sich jetzt neben der Bundesregierung und der Organe der Europäischen Union auch Unternehmen für den weltweiten Menschenrechtsschutz einsetzen müssen. Die ein oder andere ausländische Regierung wird das nicht akzeptieren und uns Deutschen eine Doppelmoral mit einer Verkennung der kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern vorwerfen. Politisch kann dies ein Irrweg sein. Die Rechtsanwender sind aber selbstverständlich an das LkSG gebunden und müssen dies beachten. Auf europäischer Ebene drohen den Unternehmen hier durch die in 2023 erwartete neue Nachhaltigkeitsrichtlinie weitere Verschärfungen.


Sorgfältig kommentiert

LkSG


Praxisgerechte Antworten zur rechtssicheren Handhabung des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) bietet Ihnen dieser kompakte Kommentar.

Organisationspflichten, Haftungs- und Sanktionsrisiken für die betroffenen Unternehmen und Zulieferer, rechtliche Instrumente zur Durchsetzung der Achtung international anerkannter Menschenrechte und Umweltbelange im Bereich unternehmerischen Handelns:

Gut verständliche Erläuterungen helfen, die neuen Compliance-Anforderungen in der Form klassischen Wirtschaftsverwaltungsrechts zum Schutz von Beschäftigten und sonstigen Betroffenen im In- und Ausland konkret umzusetzen. Direkt anwendbare Lösungsansätze unterstützen Unternehmen, Gerichte, Behörden und NGOs bei den Schwierigkeiten, die das neue Gesetz jetzt mit sich bringt.

Der Kommentar erfasst die durch das LkSG erfolgte Erweiterung der öffentlich-rechtlichen Vorgaben in ihrer gesamten Dimension.

  • Regelungen zu den betroffenen Unternehmen
  • Definition der zentralen Begriffe der Lieferkette sowie der erfassten Menschenrechte
  • umweltbezogene Pflichten, die der Gesetzgeber zum Kreis der relevanten Rechtsgüter zählt
  • die den Unternehmen konkret auferlegten Sorgfaltspflichten
  • Durchsetzung der Unternehmenspflichten durch Gewerkschaften und andere NGOs (Prozessstandschaft)
  • Vorschriften zur behördlichen Kontrolle und damit zusammenhängende Zuständigkeits- und Befugnisnormen
  • neue gesetzliche Vorgaben zu den diversen Sanktionsinstrumentarien

Fazit: Eine ausgewogene Kommentierung auf höchstem Niveau zum gelungenen Einstieg in ein neues Rechtsgebiet mit Ansätzen für eine menschenrechtskonforme Unternehmensführung in einer global vernetzten Wirtschaft.

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(ESV/bp)

Programmbereich: Wirtschaftsrecht