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Der BGH hob auch die „Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständige“ zur Abfederung der Grundrechtseingriffe hervor (Foto: Alexander Limbach / stock.adobe.com)
Corona und Ausgleich für Einnahmeausfälle bei Berufsmusiker

BGH lehnt erneut Entschädigung für Einnahmeausfälle aufgrund von Corona ab

ESV-Redaktion Recht
08.08.2023
Inwieweit kann der Staat für coronabedingte Einnahmeausfälle von Unternehmen haften? Zu dieser Frage hat sich der BGH im Falle eines Berufsmusikers geäußert.
Laut Sachverhalt betrieb der Kläger ein Musik- und Filmproduktionsunternehmen. Seine Einnahmen stammten zu mehr als 90 % aus Live-Auftritten.

Ab dem 17.03.2020 erließ das Land-Baden Württemberg auf Basis von § 32 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG mehrere Verordnungen zur Bekämpfung von Corona, die zunächst ein generelles Verbot von Versammlungen und Veranstaltungen enthielten. Dieses Verbot wurde später bei Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen und Hygienemaßnahmen gelockert, sodass zunächst wieder Kulturveranstaltungen bei weniger als 100 Teilnehmern gestattet waren. Ab dem 01.07.2020 durften dann Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen und einem vorher festgelegten Programm mit bis zu 250 Teilnehmern stattfinden.

Weil der Kläger mit seiner Musikgruppe aufgrund der benannten Beschränkungen nicht auftreten konnte, verlangte er von dem beklagten Land eine Entschädigung für Einnahmeausfälle in Höhe von 8.326,48 EUR .
 
Das LG Stuttgart hatte seine Klage als Ausgangsinstanz abgewiesen. Weil auch die Berufung des Klägers vor dem OLG Stuttgart scheiterte, zog der Kläger mit einer Revision vor den BGH.

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BGH: Grundrechtseingriffe nicht rechtswidrig

Auch vor dem III. Zivilsenat des BGH blieb der Kläger erfolglos. Der Senat hat die Revision zurückgewiesen. Nach Auffassung des Senats setzt der Entschädigungsanspruch aufgrund eines enteignungsgleichen Eingriffs voraus, dass die öffentliche Hand unmittelbar rechtswidrig in eine Rechtsposition eingreift, die grundrechtlich geschützt ist. Zudem muss dem Berechtigten hierdurch ein besonderes, unzumutbares Opfer auferlegt werden. Diese Voraussetzungen sah der Senat im Ergebnis als nicht erfüllt an, weil die benannten Beschränkungen der Corona-Verordnungen nicht rechtswidrig waren und sowohl mit Art. 14 Abs. 1 als auch mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar sind. Die wesentlichen Überlegungen des Senats:
 
  • Grundrechtseingriffe gegeben: Zwar sah der Senat sowohl Eingriffe in Art. 14 GG als auch Eingriffe in Art. 12 GG, weil der Kläger vorübergehend Betriebsmittel nicht oder nur eingeschränkt nutzen durfte und auch seiner beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen konnte.
  • Aber – Eingriffe verhältnismäßig: Die Eingriffe hatten aber verfassungsrechtlich den legitimen Zweck, zwischenmenschliche Kontakte zu reduzieren, um die Ausbreitung von Corona zu bremsen. Dies wiederum sollte dem exponentiellen Wachstum der Infektionen entgegenwirken, damit eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden kann und die medizinische Versorgung der Bevölkerung gesichert ist. Auch das Robert Koch-Institut (RKI) hatte in seinen täglichen Lageberichten gerade die „soziale Distanzierung" als geeignete Gegenmaßnahme zur Verbreitung von Corona bezeichnet.
  • Verfassungskonformer Ausgleich: Zudem hatte die öffentliche Hand für den betreffenden Zeitraum einen verfassungskonformen Ausgleich zwischen der Grundrechtsbeeinträchtigung und dem Schutz von besonders bedeutsamen Gemeinwohlinteressen geschaffen. So waren die angeordneten Eingriffe von Beginn an zeitlich befristet. Darüber hinaus hatte der Verordnungsgeber mit seinem stufenweisen Öffnungskonzept nicht nur eine „Ausstiegs-Strategie" im Blick. Vielmehr sorgte er mit seinen Hilfsprogrammen auch für eine weitere Abmilderung der Grundrechtseingriffe. Insoweit betonte der Senat die „Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“, die das Bundeskabinett am 23.03.2020 beschlossen hatte, die schon ab dem 25.03.2020 März 2020 abrufbar war und in deren Rahmen existenzbedrohte Unternehmen Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten finanzielle Unterstützungen von bis zu 9.000 € erhalten konnten.
  • Maßnahmen auch erforderlich: Die Veranstaltungsverbote- und Beschränkungen waren dem Senat zufolge auch erforderlich, denn es standen keine milderen und gleich geeignete Mittel zur Verfügung. Nach weiterer Ansicht des Senats durfte das Land Baden-Württemberg daher im Rahmen seines weiten Beurteilungsspielraums ab Mitte März 2020 davon ausgehen, dass es auf eine schnelle und umfassende Unterbindung sozialer Kontakte ankam, um Corona entgegenzuwirken. Demgegenüber wären Verhaltensregeln für Versammlungen und Veranstaltungen auch bei voller Beachtung kein gleich wirksames Mittel gewesen, so der Senat hierzu.
  • Eingriffe in Art. 5 GG: Auch soweit die angeordneten Veranstaltungsverbote als Eingriffe in Art. 5 GG anzusehen sind, gilt das Gleiche wie bei Art. 12 GG, führt der Senat weiter aus. Die Kunstfreiheit ist nämlich dort, wo es um den Ausgleich von Erwerbsschäden geht, nur in ihrer vermögensrechtlichen Dimension betroffen und nicht in ihren immateriellen Belangen.  
  • Keine Verpflichtung zur Regelung von Ausgleichsansprüchen: Schließlich musste der Gesetzgeber des IfSG verfassungsrechtlich keine Ausgleichsansprüche für die streitgegenständlichen Beschränkungen schaffen. Insoweit betonte der Senat, dass das Veranstaltungsverbot nur zweieinhalb Monate dauerte. Unter Einbeziehung des Unternehmerrisikos, das Gewerbetreibende stets zu tragen haben, hielt der Senat den benannten Zeitraum für zumutbar.
Quelle: PM des BGH vom 03.08.2023 zum Urteil vom selben Tag – III ZR 54/22


Corona im Rechtsstaat

Wer hätte sich vor Corona vorstellen können, es schon bald mit Grundrechtseingriffen zu tun zu bekommen, die es zumindest im Westen Deutschlands so seit 1949 nicht gab? Oder wie schnell sich das gesamte gesellschaftliche Leben herunterfahren lässt? Zu schnell? Bleiben in der Krise Bürgerrechte und der Rechtsstaat auf der Strecke?

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  • Wie ist die Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen zu beurteilen?
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  • Wer hat das Sagen? Die Wissenschaft, die Exekutive? Die Parlamente, die parlamentarische Opposition? Welche Rolle spielen die Medien?
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(ESV/bp)

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht