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Forscht zur Lautsymbolik: Prof. Dr. Hilke Elsen (Foto: Privat)
Nachgefragt bei: Prof. Dr. Hilke Elsen

Elsen: „Lautsymbolik heißt, dass die Lautebene zum Träger von Informationen wird“

ESV-Redaktion Philologie
20.10.2016
Was ist Lautsymbolik? Schon einmal von „Maluma“ und „Takete“ gehört? Einen Einblick in die Thematik gibt Prof. Dr. Hilke Elsen im Interview mit der ESV-Redaktion.
Frau Elsen, wenn Sie ein Seminar zur Lautsymbolik halten: Wie steigen Sie in das Thema ein – und wie führen Sie Ihre Studierenden an dieses ihnen zumeist unbekannte Gebiet heran?

Hilke Elsen: Zum Einstieg eignet sich ein (be)greifbares Beispiel. Lautsymbolik heißt ja, dass die Lautebene zum Träger von Informationen wird. Manchmal zeige ich einen Filmausschnitt aus „Grace Kelly“, in dem die amerikanische Protagonistin das französische „r“ übt, was man anhand der Gestik und des Gesichtsausdrucks sehen kann. Das ist für die Studenten direkt nachvollziehbar, nachspielbar und schafft eine Identifizierung mit dem Thema.

Manchmal lasse ich auch ein paar Takte Klingonisch aus „Star Trek“ oder ein paar Sätze in der Elfensprache aus „Lord of the Rings“ erklingen. Gut ist auch, die Studierenden das Köhlerexperiment machen zu lassen, da sind die Ergebnisse immer erstaunlich eindeutig: Beim Köhlerexperiment von 1929 ging es darum, zwei Kunstwörter - ‚Maluma‘ und ‚Takete‘ - zwei Formen zuzuordnen, was damals bei über 90 Prozent der Probanden zu demselben Ergebnis führte. Und auch heute in den Vorlesungen erzielen wir bei diesem Experiment immer ähnliche Werte. Der Zusammenhang von Lautung und Form wird hier offensichtlich.

Lautsymbolik spielt nicht nur in der Sprachwissenschaft eine Rolle. In welchen Bereichen des Alltags ist sie noch relevant?  

Hilke Elsen: Lautsymbolik bzw. ihre Auswirkungen begegnen uns täglich an vielen Stellen. Die Wahl der Namen von Figuren in einem Kinderbuch beispielsweise erfolgt meist nicht zufällig. Heißt dort der Drache Isibil, weiß man als Kind sofort: Der ist nicht gefährlich, aber bei  seinem Widersacher Chrotorosk sollte man aufpassen. Auch in der Werbung spielt Lautsymbolik eine Rolle: Wenn Sie starke Kopfschmerzen haben und der Apotheker Ihnen die Tabletten Kanurapofol 500 und Pitzliputz, beides ausgedacht, anbietet, welche würden Sie nehmen?

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Inwieweit können uns Ergebnisse aus der Lautsymbolik-Forschung im Sprachunterricht weiterhelfen: Gibt es beispielsweise Zusammenhänge für das Erlernen einer korrekten Aussprache?

Hilke Elsen: Insgesamt gibt es Tendenzen, bestimmte Sinneswahrnehmungen mit akustischen Einheiten zu assoziieren. Wenn ikonische Zusatzinformationen wie Farben, Stimmführung, Gestik oder Mimik die Präsentation von Lautmaterial begleiten, verstärken oder ermöglichen sie dadurch die bewusste Wahrnehmung von Sprachlauten. Diese Informationen  verbessern das Erinnern, da ein größerer neuronaler Bereich aktiviert und vernetzt wird. Gerade jüngere Kinder sind rein aufgrund noch nicht festgelegter neuronaler Netze besonders empfänglich. Aber auch Erwachsene profitieren von derartigen Stützen beim Entdecken von Unterschieden, beim Erinnern motorischer Abläufe bei der Aussprache und beim Koppeln von Klangkörper und Inhalt.

Ein Beispiel: Vokallänge wird mit Größe in Verbindung gebracht. Auch hier kann begleitende Gestik den Lerneffekt fördern – kurze Hand- oder Fingerbewegungen passen zu Kurzvokalen oder Kurzsilben wie ‚Bett‘, ‚muss‘, ‚Wonne‘ im Gegensatz zu ‚Beet‘, ‚Mus‘, ‚wohne‘, für die sich die entsprechenden langen Bewegungen eignen. Intonationsverläufe lassen sich mit Handgesten visualisieren, wobei Hebung von Stimme und Hand korrelieren. Der Wortakzent wird mit einer Handhebung oder einem plötzlichen Öffnen der Hand unterlegt. Fingerbewegungen können Mundbewegungen imitierend begleiten.

Eine weitere Quelle liefert die verbreitete Korrelation von hellen Farben und vorderen Vokalen bzw. dunklen Farben und hinteren Lauten. Hier bietet sich die Darbietung in Schriftform mit einer passenden Farbe an.

„Helle“ Wörter wie niedlich, lieb, nett lassen sich dazu auch mit heller Stimme artikulieren, „dunkle“ wie groß, donnern, rumpeln mit dunkler Stimme. Das i lässt sich als lächelnder Laut, das o als Überraschung charakterisieren. Die für einige (Dialekt)Sprechenden schwierige Unterscheidung zwischen den standarddeutschen stimmhaften und stimmlosen alveolaren Frikativen kann mithilfe von Stützen wie  „Schlangen-s, die Schlange zischt“ und „Bienen-s, die Biene summt“ akustisch und taktil nachvollziehbar entdeckt und memoriert werden.

Meine Tochter fragte mich neulich auf dem Weg zur Schule: „Mama, warum heißt ‚Luft‘ Luft und nicht ‚Sibt‘?“ Gibt es eine Antwort auf diese Frage, kann man sie mit Lautsymbolik erklären?

Hilke Elsen: Leider gibt es darauf keine einfache Antwort, die man auf alle Fälle beziehen könnte: Jedes Wort hat seine eigene Geschichte. Im Endeffekt muss man jedes Wort einzeln im Herkunftswörterbuch nachschlagen. Was man aber sagen kann, ist, dass Wörter nicht zufällig so sind, wie sie sind, sondern aufgrund vieler ineinandergreifender Wandelerscheinungen über viele tausende von Jahren hinweg. Lautsymbolik kann in einigen Fällen hilfreich sein, um zu verstehen, warum ein Wort lautet, wie es lautet. Besonders deutlich wird das bei Wörtern wie Kuckuck oder piepsen. Hier kann man leicht nachvollziehen, warum das Wort genauso heißt. Andere Fälle lassen sich, auch bedingt durch den Wandel über tausende von Jahren, nicht mehr über die reine Lautung erklären.

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Zum Band
Das Buch Einführung in die Lautsymbolik von Hilke Elsen ist soeben erschienen. Sie können es bequem hier bestellen.

Zur Autorin
Professorin Dr. Hilke Elsen vertritt den Lehrstuhl für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache und seine Didaktik an der Universität Augsburg. Seit 25 Jahren forscht und veröffentlicht sie in den Bereichen Psycholinguistik und Linguistik, hier vor allem zu Erwerb, Phonologie, Lexikologie und Wortbildung.

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache