Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Der Zusteller warf den Klageschriftsatz in den Briefkasten eines Dritten ein. Der Briekasten befand sich an der früheren Anschrift der Beklagten (Foto: Fiedels / stock.adobe.com)
Klagezustellung „demnächst“

BGH zu Verzögerungen bei Klagezustellung, die sowohl durch Fehler des Gerichts als auch durch Fehler des Klägers verursacht wurden

ESV-Redaktion Recht
19.11.2024
Nicht selten werden zivilrechtliche Ansprüche erst zum Ende einer Verjährungsfrist gerichtlich geltend gemacht. Wird dabei eine Klage, die vor Fristablauf bei Gericht eingegangen ist, dem Beklagten aber erst nach Fristablauf zugestellt, kann zugunsten des Klägers die Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO greifen, wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgte. Der BGH musste nun einen Fall entscheiden, bei dem sowohl dem Kläger als auch dem Gericht Fehler unterlaufen sind, die die Zustellung verzögert haben.
In dem Streitfall zog ein Malerunternehmen im November 2018 mit einer Klage auf Zahlung von 197.946,46 EUR gegen ihre Auftraggeberin vor das LG Berlin. Die Klage, die am 29.11.2018 beim LG einging, enthielt jedoch versehentlich die frühere Anschrift der Beklagten als Zustelladresse.

Mit seiner Kostenrechnung vom 27.12.2018 forderte das LG Berlin dann den Gerichtskostenvorschuss an, den die Klägerin am 11.01.2019 entrichtete. Am 23.01.2019 legte der Zusteller die Klage dann in den Briefkasten eines Dritten ein, den der Zusteller an der früheren Anschrift der Beklagten vorfand. Der Dritte sendete den Klageschriftsatz an das Gericht mit dem Vermerk zurück, dass es dort kein Unternehmen mit dem Namen der Beklagten gibt. Diese Mitteilung ging am 04.02.2019 beim LG ein.  
 
Einen Tag später hat das LG dann die aktuelle Anschrift der Beklagten mithilfe des Handelsregisterauszugs ermittelt und die Zustellung der Klage verfügt. Diese wurde der Beklagten am 12.02.2019 zugestellt.

In der Sache gab das LG Berlin mit seiner Entscheidung vom 23.03.2022 (101 O 53/19) dem Hauptsache-Antrag der Klage in Höhe von 11.237,97 EUR statt und wies die Klage im Übrigen ab. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung zogen beide Parteien mit einer Berufung vor das Kammergericht (KG) in Berlin.  

KG: Alle Verzögerungen der Zustellung beruhen auf falscher Adressierung durch Klägerin 

Die Berufung der Beklagten führte zu einer vollständigen Klageabweisung, während die Berufung der Klägerin ohne Erfolg blieb. Das KG hielt die Ansprüche der Klägerin für verjährt. Demnach lag der Grund für die verzögerte Klagezustellung allein in der falschen Adresse, die die Klägerin angegeben hatte. Eine Hemmung der Verjährung käme damit nicht in Betracht, so das KG (Entscheidung vom 23.03.2022 – 101 O 53/19).

Mit einer Revision, die das KG zuließ, zog die Klägerin dann vor den BGH. Das Berufungsgericht traf keine Feststellungen dazu, wann der Klägerin die Kostenrechnung vom 27.12.2018 tatsächlich zugegangen ist.

Der kostenlose Newsletter Recht – Hier können Sie sich anmelden! 
Redaktionelle Meldungen zu neuen Entscheidungen und Rechtsentwicklungen, Interviews und Literaturtipps

 

BGH: Klage wurde noch „demnächst“ zugestellt 


Der VII. Zivilsenat des BGH folgte der Ansicht des KG nicht. Er hob das Berufungsurteil auf und wies die Sache an das KG zurück. Nach Auffassung des Senats durfte die Klage nicht wegen Verjährung abgewiesen werden. Die wesentlichen Erwägungen des Senats: 
 
  • Verjährung gehemmt: Einig war sich der Senat mit der Berufungsinstanz, dass die Klageforderung prinzipell mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt gewesen wäre. Entgegen der Auffassung des KG wurde die Verjährung aber durch Erhebung der Klage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt, so der Senat. 
  • Klagezustellung noch „demnächst“: Demnach wirkt die Zustellung der Klage an die Beklagte am 12.02.2019 auf den Zeitpunkt der Klageeinreichung am 29.11.2018 zurück, weil die Klage noch „demnächst“ im Sinne von  § 167 ZPO zugestellt wurde.
  • Nur die falsche Adressierung geht zu Lasten der Klägerin: Nach den weiteren Ausführungen des Senats geht nur der Teil der Verzögerung zu Lasten der Klägerin, die unmittelbar auf die falsche Adressierung zurückzuführen ist. Insoweit kam der Senat jedoch zu dem Ergebnis, dass die Zustellung der Klage nur um zwölf Tage verzögert wurde. Diese Zeitspanne bewegte sich dem Senat zufolge noch innerhalb des zeitlichen Rahmens von 14 Tagen.
  • Keine Haftung der Klägerin für „Verzögerungen im Geschäftsablauf des Gerichts“: Die weitere Verzögerung, die durch den Fehler des Zustellers entstanden ist, wertete der Senat als „Verzögerung im Geschäftsablauf des Gerichts“. Der Umstand, dass der Zusteller die Klage aufgrund der falschen Anschrift an das Gericht hätte zurückgeben müssen, sei nicht dem Kläger anzulasten, meint der Senat.
  • Pünktliche Zahlung des Gerichtskostenvorschusses: Der Senat ging – mit der Vorinstanz – zugunsten der Klägerin auch davon aus, dass diese die Gerichtskostenrechnung vom 27.12.2018 erst am 07.01.2019 erhalten hat. Dies entnahm der Senat dem Datum des Eingangsstempels der Kopie der Kostenrechnung, den die Klägerin als Anlage K 11 vorgelegt hatte. Damit gab es auch bei der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses, der am 11.01.2019 bei Gericht einging, keine Verzögerung, die die Klägerin zu vertreten hätte.  
Weil der der Senat aber die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung sah, verwies er die Sache an die Berufungsinstanz zurück. Das KG darf die Klage aber nicht mehr mit der Begründung abweisen, dass die Forderungen der Klägerin verjährt wären.
 
Quelle: Urteil des BGH vom 10.10.2024 –  BGH VII ZR 240/23


juris Zivil- und Zivilprozessrecht Premium


Mit juris Zivil- und Zivilprozessrecht Premium recherchieren Sie in Echtzeit in Top-Titeln der Prozessrechtsliteratur, in aktuellen Gerichtsentscheidungen und in den geltenden Vorschriften. Das juris Wissensmanagement vernetzt mehr als 70 Titel der jurisAllianz, darunter ZPO-Kommentare von Wieczorek/Schütze und Zöller.



juris Zivil- und Zivilprozessrecht Premium enthält folgende Werke aus dem Erich Schmidt Verlag:

  • FamFG, Kommentar, von Dr. Dirk Bahrenfuss (Hrsg.)
  • Berliner Kommentar ZPO, von Dr. Christoph Kern, Dr. Dirk Diehm, LL.M. Eur. (Hrsg.)
  • Befangenheit im Rechtsstreit von Volker Meinert
  • Betreuungs- und Unterbringungsverfahren von Dr. Martin Probst
  • Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Zivilprozess von Dr. Christian Balzer und Dr. Bianca Walther
  • Das Abänderungsverfahren im Unterhaltsrecht von Dr. Jürgen Soyka
  • Die Teilungsversteigerung von Prof. Dr. Gerd Hamme
  • Einstweiliger Rechtsschutz in Familiensachen von Hans-Joachim Dose und Dr. Bettina Kraft
  • Handbuch Zwangsvollstreckungsrecht von Prof. Ulrich Keller (Hrsg.)
  • Vereinssatzungen von Michael Röcken
Verlagsprogramm  weitere Nachrichten aus dem Bereich Recht 


Rechtspechung zu ähnlichen Themen 20.07.2017
BGH zur Heilung von Zustellungsmängeln einer Klage

Wird eine Klage nicht an den richtigen Beklagten zugestellt, so kann dies für den Kläger fatale Konsequenzen haben. Liegt ein Zustellungsmangel vor, kann dieser eventuell geheilt werden. Im vorliegenden BGH-Fall berief sich der Kläger auf eine Zustellungsfiktion nach § 189 ZPO. mehr …

Auch interessant: 


(ESV/bp)

Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht