Eine kurze Verlagsgeschichte in elf Kapiteln
Kapitel III: Die Jahre 1940 bis 1945
In den ersten Kriegsjahren ist das kulturelle Leben in der Berliner Hauptstadt noch immer sehr ausgeprägt. Allerdings wird auf Film- und Theaterbühnen nur noch das gespielt, was in die deutschnationale Linie der Machthaber paßt.
Durch den nach dem deutschen Überfall auf Polen ausbrechenden 2. Weltkrieg wird das nach 1918 in Europa entstandene Machtgefüge endgültig zerstört und neue Kräfteverhältnisse, die nicht nur für Europa, sondern für das Weltgeschehen maßgebend werden, bilden sich heraus.

Nachdem die Verhältnisse eine Fortführung der politischen Korrespondenzdienste des Erich Schmidt Verlages nicht mehr erlauben, wird ab dem Jahre 1939 der Buchverlag ausgebaut. Diese Erweiterung erfolgt in erster Linie auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik. Daneben wird aber auch das noch junge steuerrechtliche Programm weiter ausgebaut und die erste juristische Verlagsabteilung geschaffen. Die Kriegsverhältnisse erschweren durch die Verknappung auch auf dem Papiermarkt die Verlagsarbeit dabei beträchtlich. Für die meisten Veröffentlichungen sind besondere Genehmigungen notwendig.
Im Sozialrecht erreicht die Broschüre "Die Altersversorgung des Handwerksmeisters" eine Gesamtauflage von 124.000 Exemplaren. In enger Zusammenarbeit mit dem Geschäftsführer des Reichsverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften Dr. Lauterbach und seinem Referenten Dr. Hardt bringt der Verlag seit 1940 von der Praxis sehr gut aufgenommene Unfallverhütungsvorschriften und zwei Reihen mit fesselnden Tatsachenberichten, die zur Aufklärung über Unfallgefahren beitragen, heraus. Sie erreichen Auflagen von bis zu 250.000 Exemplaren.


Kurios mag heute erscheinen, daß es dem Verlag mit der Reihe "Die Neue Lese" 1940 gelingt, eine belletristische Produktion zu beginnen. Die Reihe erscheint bis 1944. Sie trägt wesentlich zur Sicherung der Verlagsarbeit während des Krieges bei. Die in ihr veröffentlichten Romane und Erzählungen erscheinen in zwei parallelen Ausgaben: Einer normalen und einer Feldpostausgabe.
1940 erwirbt Dr. Erich Schmidt das Gebäude Genthiner Str. 30 G, in das der Verlag im Februar 1941 umzieht. Der Erwerb erweist sich als Glücksumstand: Während Berlin im 2. Weltkrieg fast völlig zerstört wird, bleibt das neue Verlagshaus - wenn auch schwer beschädigt - erhalten. Das Gebäude ist Bestandteil einer zehn Villen umfassenden im Stil des Spätklassizismus 1871/72 erbauten Anlage, die im kulturellen Leben Berlins eine besondere Rolle spielte. Die Adresse war bekannt für große Künstlergesellschaften und wurde nach dem früher dort lebenden Künstler Adalbert Begas auch "Begas-Winkel" genannt. Mit dem Einzug des Erich Schmidt Verlages wird in der Anlage erstmals ein Gebäude gewerblich genutzt - was von den übrigen Anwohnern mit größtem Mißtrauen beobachtet wird.
Mit den Erfolgen der Alliierten in Nordafrika wird die Kriegswende eingeleitet. Die erfolgreichen großen Offensiven der Alliierten ab 1943/44 führen - nach riesigen Menschenverlusten und großflächiger Zerstörung Europas - schließlich zur bedingungslosen Kapitulation Berlins am 2. Mai und schließlich Deutschlands am 7./8. Mai 1945.
Obwohl der Zusammenbruch zunächst das Ende der Verlagsarbeit bedeutet währt die Unterbrechung nur kurz. Das im Juni 1945 bei der russischen Kommandantur eingereichte vorläufige Verlagsprogramm wird bereits am 25.6.1945 verblüffend unbürokratisch genehmigt. Die Genehmigung der russischen Kommandantur in Berlin umfaßt dabei neben Fortführung und Neuauflagen der Fachliteratur insbesondere auch Fortführung und Neuauflagen der "Neuen Lese".